In einem weitläufigen, endlos scheinenden Grasmeer wanderte einst eine junge Schildkröte ziellos umher. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel, und der Durst nagte an ihr wie ein unaufhörliches Verlangen.
Obwohl sie wusste, dass ihr Körper viele Tage ohne Wasser auskommen konnte, spürte sie mit jeder Stunde, wie ihre Kräfte schwanden. Hoffnung schien so fern wie der Horizont selbst, der sich in jeder Richtung ins Unendliche zog.
Eines Tages kreuzte ihr Weg sich mit dem einer uralten Schildkröte, deren Panzer wettergegerbt und voller Geschichte war.
Diese sprach mit ruhiger Stimme: „Wenn die Sonne am höchsten Punkt steht, dann folge ihrem Pfad. Wandere in die Richtung, in die sie zieht. Sobald sie untergeht, ruhe Dich aus, schlafe tief.
Am nächsten Tag, wenn das Licht erneut über Dich steigt, setze Deinen Weg fort. Wieder und wieder, Tag für Tag. Irgendwann wirst Du das Wasser erreichen. Und dort wird Deine Mühe belohnt werden.“
Doch die junge Schildkröte war misstrauisch. In ihren Gedanken sprach sie: „Warum sollte ich Dir glauben? Ich durchstreife dieses Feld schon so lange und habe Dich nie gesehen. Ich weiß mehr über diesen Ort als Du! Der Sonne folgen? Was für eine seltsame Idee.“
Laut rief sie der alten Schildkröte zu: „Red keinen Unsinn, alte Träumerin! Du kennst den Weg doch genauso wenig wie ich!“ Und sie kehrte der Alten den Rücken und setzte ihren Irrweg fort, Schritt um Schritt durch das dichte Gras, ohne Ziel, ohne Orientierung.
Die Tage zogen ins Land. Dann Wochen. Ihre Kräfte verließen sie. Irgendwann konnte sie sich nicht mehr bewegen. Drei Tage lag sie still im Gras, der Atem schwer, aber noch am Leben. In dieser Stille kehrte ihr Geist zurück zu früheren Zeiten – als sie mit Freunden spielerisch ins Wasser glitt, als das Sonnenlicht den Fluss vergoldete, als das Leben leicht war.
Und dann erinnerte sie sich – wie die Sonne stets vom großen dunklen Felsen aufstieg und sich zum dichten Wald gegenüber bewegte. Immer dieselbe Bahn. Wie ein Fingerzeig. Wie ein Dharma, ein ewiges Gesetz, das immer da gewesen war, doch das sie nie verstanden hatte.
Mit diesem letzten Gedanken verließ sie die Welt – im Bewusstsein, dass sie die Wahrheit verkannt hatte, die schon immer über ihr leuchtete.
Ein passendes Zitat von Buddha zu dieser Geschichte lautet:
„Drei Dinge kann man nicht lange verbergen: die Sonne, den Mond und die Wahrheit.“
– Siddhartha Gautama (Buddha)
Dieses Zitat spiegelt die zentrale Botschaft der Geschichte wider: Die Wahrheit – hier in Form der einfachen, weisen Anweisung der alten Schildkröte – war immer sichtbar, wie die Sonne selbst. Doch die junge Schildkröte erkannte sie zu spät, weil sie von Stolz und Zweifel geblendet war.
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