Gleichmut

Geschrieben am 01.07.2025
von SR


In Zeiten großer Veränderungen und Herausforderungen ist es wichtiger denn je, innerlich stabil zu bleiben. Was im Buddhismus als Gleichmut bezeichnet wird, ist dabei keine Gleichgültigkeit, sondern eine bewusste innere Haltung. Es bedeutet, mit klarem Blick und offenem Herzen auf die Welt zu schauen – so wie sie ist, mit all ihren Widersprüchen, Leiden und Schönheiten. Du wendest Dich der Realität nicht ab, sondern nimmst sie achtsam an – ohne in Ablehnung oder Anhaftung zu verfallen.

Die Buddhistische Praxis, besonders im Chan- oder Zen-Weg, lädt Dich ein, Deine Wahrnehmung zu schärfen und die Bewegungen Deines Geistes mit stiller Präsenz zu beobachten. Angst, Wut oder Hoffnung können auftauchen – doch durch achtsames Atmen, durch Meditation und das ruhige Verweilen im Jetzt, lernst Du, Dich nicht mit diesen Gefühlen zu identifizieren. Du lässt sie kommen und gehen, wie Wolken am Himmel. Das ist mitfühlende Distanz – ein zentrales Element des Gleichmuts.



In der Tiefe dieser Praxis erkennst Du: Alles verändert sich. Kein Zustand bleibt ewig bestehen – weder in der Welt da draußen noch in Deinem Inneren. Politische Ordnungen entstehen und vergehen, kulturelle Werte verändern sich, selbst persönliche Überzeugungen sind im Wandel. Der Buddhismus erinnert Dich daran, dass alles miteinander verflochten ist und nichts aus sich heraus Bestand hat. Dieses Verständnis von Anicca, der Vergänglichkeit, hilft Dir, Dich nicht an festen Vorstellungen oder Ergebnissen festzuklammern.

Wenn Du die Welt durch diesen Blick betrachtest, wirst Du freier. Du hörst auf, Dich von Angst treiben zu lassen oder an festen Ideologien festzuhalten. Stattdessen öffnet sich ein innerer Raum von Klarheit und Mitgefühl. Gleichmut bedeutet, mitten im Sturm ruhig zu stehen – nicht, weil Du emotionslos bist, sondern weil Du die Tiefe der Wirklichkeit erkannt hast.


In diesem Zustand des bewussten Innehaltens findest Du Frieden, selbst wenn um Dich herum alles in Bewegung ist. Der Buddhismus lädt Dich ein, diesen Raum immer wieder zu betreten. Nicht um Dich abzuschotten, sondern um mit offenem Herzen in der Welt zu sein – bereit zu handeln, aber ohne innerlich zu verkrampfen. Gleichmut ist gelebte Weisheit – ein stilles, tiefes Ja zum Leben, so wie es ist.

Um die Bedeutung von Gleichmut im Sinne des Buddhismus noch greifbarer zu machen, passt eine überlieferte Anekdote aus dem Zen-Buddhismus besonders gut – die Geschichte vom alten Bauern:

Ein alter Bauer lebte mit seinem Sohn in einem kleinen Dorf. Eines Tages lief ihr einziges Pferd davon. Die Nachbarn sagten: „Was für ein Unglück!“
Der Bauer antwortete nur ruhig: „Vielleicht.“



Ein paar Tage später kehrte das Pferd zurück – und brachte mehrere Wildpferde mit. Die Nachbarn waren begeistert: „Was für ein Glück!“
Wieder sagte der Bauer nur: „Vielleicht.“

Später versuchte der Sohn, eines der wilden Pferde zu zähmen, stürzte jedoch und brach sich das Bein. „Wie schrecklich!“, riefen die Leute.
Der Bauer sagte: „Vielleicht.“

Kurz darauf kam das Militär ins Dorf, um junge Männer für den Krieg einzuziehen – doch der verletzte Sohn wurde verschont. „Was für ein Segen!“, meinten die Nachbarn.
Der alte Bauer blieb bei seiner Antwort: „Vielleicht.“



Diese Geschichte ist ein klassisches Beispiel für Gleichmut – den Zustand innerer Balance, der im Buddhismus kultiviert wird. Der Bauer wird weder von Freude mitgerissen noch von Leid überwältigt. Er begegnet jedem Ereignis mit offenem Herzen, aber ohne Urteil. Er hält nicht an Erwartungen fest und lässt sich nicht von Angst lenken. Sein „Vielleicht“ ist Ausdruck tiefster Weisheit: dass wir nie die ganze Wirklichkeit erfassen können und jede Erfahrung ein Teil eines größeren, sich entfaltenden Prozesses ist.

So, wie der Bauer ruhig und gegenwärtig bleibt, kannst auch Du lernen, inmitten von Aufruhr und Unsicherheit gelassen zu bleiben. Gleichmut bedeutet nicht, gefühllos zu sein – im Gegenteil. Es ist eine tief mitfühlende Haltung, die sich aus dem Verstehen der Vergänglichkeit aller Dinge speist. Der Buddhismus lehrt, dass durch Akzeptanz und Achtsamkeit ein innerer Raum entsteht, der unabhängig ist von äußeren Umständen.
Wenn Du beginnst, wie der Bauer zu handeln – weder zu klammern noch abzulehnen – wächst in Dir jener stille Frieden, der auch inmitten eines tobenden Sturms Bestand hat. Genau das ist Gleichmut: ein mitfühlender, wacher und freier Umgang mit dem, was ist.



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