Das Veilchen

Geschrieben am 07.07.2025
von SR


In einem abgelegenen Garten, weit weg vom Lärm der Welt, lebte ein schlichtes, aber wohlriechendes Veilchen zwischen anderen Blumen. Es war zufrieden – bis zu jenem Morgen, an dem es den Blick hob und zum ersten Mal die mächtige Rose erblickte, die stolz und leuchtend über allen anderen Pflanzen thronte, als wäre sie eine Flamme auf einem grünen Altar.

Das Veilchen seufzte tief und sprach zu sich selbst: „Warum bin ich so niedrig gewachsen, so unscheinbar unter all den prächtigen Blüten? Die Sonne erreicht mich kaum, und mein Blick bleibt stets auf den Boden gerichtet.“ In seinem Herzen wuchs der Wunsch, mehr zu sein – größer, mächtiger, bewundert.



Die Rose hörte diese Worte und sagte: „Du sprichst von Mangel, doch Du erkennst Deine Gaben nicht. Duft und Sanftheit sind Dir gegeben – Geschenke, die nicht jede Blume trägt. Erinnere Dich: Wer sich klein macht, ist auf dem Weg zur Befreiung. Wer sich erhebt aus Gier, fällt tiefer.“

Doch das Veilchen konnte sich nicht mit seinem Platz im Garten abfinden. Es bat Mutter Natur: „Erlaube mir, für einen Tag zur Rose zu werden. Ich will wissen, wie es sich anfühlt, hoch zu wachsen und den Himmel zu berühren.“ Die große Mutter antwortete mit Mitgefühl, aber auch mit Mahnung: „Wenn Du diesen Pfad wählst, sei Dir der Folgen bewusst. Alles, was aus Gier geboren ist, trägt Leid in sich.“


Trotzdem bestand das Veilchen auf seiner Bitte. Und so verwandelte sich die kleine Blume in eine hochgewachsene Rose. Kurz darauf brach ein heftiger Sturm los – Wind und Regen fegten durch den Garten. Die stolze Rose wurde vom Sturm zerschmettert, während die kleinen, bodennahen Veilchen sicher an der Mauer Schutz fanden.

Als das verwandelte Veilchen im Sterben lag, flüsterte es: „Ich habe in einem kurzen Augenblick mehr erfahren als in meinem ganzen vorherigen Leben. Ich habe den Wind gespürt, der mich herausforderte. Ich habe mich selbst überschritten. Und nun, da mein Ende naht, bin ich nicht traurig. Ich habe die Wahrheit berührt: Das Leben ist Wandel, und im Vergehen liegt das Erwachen.“



So lehrte das Veilchen – nun wieder still in der Erde ruhend – seine Schwestern, dass wahre Größe im inneren Erwachen liegt, nicht im äußeren Schein. Ein Spiegel buddhistischer Weisheit: Anhaftung bringt Leiden, aber Erkenntnis führt zur Befreiung.

Ein passendes Zitat von Buddha, das den Kern des neu erzählten Textes wunderbar widerspiegelt, ist:

„Verweile nicht in der Vergangenheit, träume nicht von der Zukunft, konzentriere den Geist auf den gegenwärtigen Moment.“
Gautama Buddha



Dieses Zitat erinnert daran, dass wahres Glück nicht durch äußeren Glanz oder unerreichbare Sehnsüchte entsteht – sondern durch die volle Annahme und das achtsame Erleben des gegenwärtigen Daseins. So wie das Veilchen lernen musste, dass der gegenwärtige Moment – bescheiden, aber sicher – mehr Frieden schenkt als jede illusorische Erhebung.



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